Antworten auf die Frage „Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderung — eine Frage des Geldes? wurde beim zweiten Akademieabend des St. Vitus-Werks gegeben. Ehrengast war der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff. (Text und Bilder: M. Fickers, MT)
Anlass für die Einladung an Wulff war dessen Einsatz für die Integration von Minderheiten in die Gesellschaft und dessen langjährige Verbundenheit zur Region, besonders zu den Einrichtungen der Behindertenhilfe im Emsland, erklärte Vitus-Geschäftsführer Michael Korde n. Der Moderator des Abends, der Akademiedirektor des Ludwig-Windthorst-Hauses Lingen, Michael Reitemeyer, konkretisierte das Thema des Abends. Es gehe um die Auswirkungen des neuen Bundesteilhabegesetzes.
Menschen anzunehmen wie sie sind, gelinge nicht immer, stellte Wulff fest. Eine Erfahrung aus mehreren Besuchen bei den Vitus-Einrichtungen sei, dass hier Menschen die nötige Wertschätzung erfahren. Die Erfolgsgeschichte von Vitus und der mit dem selben Anliegen tätigen Einrichtungen im Emsland zeige, dass hier Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Alltags- und Arbeitsleben gelingt und dies zum Vorteil der heimischen Wirtschaft.
Als zentrale Aufgabe nannte Wulff, für mehr Gerechtigkeit zu sorgen. Dies könne die Politik durch mehr Investitionen in Bildung und Teilhabe von Minderheiten. Die Kirchen sollten an den sozialen Brennpunkten aktiver werden. Unternehmen müssten zur Kenntnis nehmen, dass sie eine soziale Verantwortung tragen.
In der ersten Podiumsrunde berichtete Ursula Mersmann, Beauftragte für Menschen mit Behinderungen im Landkreis Emsland, aus Beratungsgesprächen, dass es trotz einer allgemein guten Situation noch manche Ungerechtigkeit gibt. Das neue Gesetz bedeute einige Änderungen zum Guten. Sigrid Kraujuttis, Sozialdezernentin Landkreis Emsland, erinnerte daran, dass das Emsland nach der erfolgreichen Bewerbung als Modellversuchskommune bei der Landesregierung Wulff 2007 neue Ansätze für Wege zur Selbstbestimmung Behinderter gehen konnte. Sowohl beim Wohnen, als auch bei der Integration in Arbeit habe es Fortschritte gegeben. Gerold Abrahamczik, Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft der Angehörigenvertretungen in Caritaseinrichtungen der Behindertenhilfe in Niedersachsen (LACB) wies auf die Defizite bei der sozialen Teilhabe von Menschen in stationären Einrichtungen hin. „Wir hoffen auf Verbesserungen durch das neue Gesetz“, sagte er, aber noch sei die Kostenfrage ungeklärt.
In der zweiten Podiumsrunde rief Weihbischof Johannes Wübbe auf, Räume zu schaffen, wo Menschen selbstbestimmt leben können. Aufgabe der Kirchen sieht er darin, Stimme für Benachteiligte zu sein. Ina Wysotzki, Mitglied im Behindertenbeirat des Landkreises Emsland, schilderte aus eigener Erfahrung, wie wichtig selbstbestimmt zu Leben für die persönliche Entwicklung ist. Sie habe dadurch eine Entwicklung zum Besseren durchgemacht, die nicht für möglich gehalten wurde. Vitus-Geschäftsführer Michael Korden sagte, dass sich der Verein und seine Einrichtungen auf die Kernbedürfnisse der zu unterstützenden Menschen konzentriert, aber wohl auch stärker die individuellen Bedürfnisse im Blick haben sollte. Im gleichen Sinn sei die Gesellschaft zu mehr Mitmenschlichkeit aufgefordert: „Es geht nicht nur um Geld, sondern um eine Haltung“.